Versicherung

Zwischen Organigramm und Code

Parallelen zwischen moderner Organisations- und Softwareentwicklung

Sei es durch die Digitalisierung, neue Technologien, veränderte Kundenbedürfnisse oder makroökonomische Entwicklungen: Es gibt wohl kaum ein Unternehmen, welches nicht vor der Herausforderung steht, die eigene Organisation so auszurichten, dass sie „fit für die Zukunft“ wird. Mehr noch: Für viele Unternehmen ist die Transformation hin zu einem Technologieunternehmen das explizite und erklärte Ziel.

Entsprechend wird eine Vielzahl strategischer Initiativen und Veränderungen angestoßen, darunter häufig auch die organisatorische Neuaufstellung und damit einhergehend die Anpassung bisheriger Strukturen, Abläufe und Rollen.

Re- bzw. Umorganisation ist das Stichwort. An für sich ein „Evergreen“ – aber dennoch erleben wir in der Praxis immer wieder, wie viele der Re- oder Umorganisationen immer noch laienhaft angegangen werden. Als Konsequenz werden häufig nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt. Laut einer Bain-Studie verschwenden Unternehmen jährlich nicht weniger als 900 Mrd. US-Dollar mit erfolglosen Organisationsveränderungen.

Aus diesem Grund möchten wir in diesem Artikel einen Ansatz im Kontext Organisationsentwicklung vorstellen, der sich in vielen Organisationsprojekten in unterschiedlichen Branchen immer wieder bewährt hat – und welcher gezielt Elemente aus der modernen Softwareentwicklung für das Organisationsdesign einsetzt.

Denn aus der Praxis wissen wir: Es gibt erstaunliche Parallelen zwischen moderner Organisations- und Softwareentwicklung. Führende Unternehmen setzen im Organisationsdesign auf Techniken, die auch in der modernen Softwareentwicklung erfolgreich eingesetzt werden. Dies ist speziell auch dort von besonderer Relevanz, wo der Großteil der organisatorischen Neuaufstellungen aktuell durchgeführt wird: In der IT bzw. in technologienahen Bereichen.

Im Folgenden haben wir die sieben wichtigsten Parallelen zusammengefasst.

Mindset – Die Organisation als System

Eine Organisation ist wie eine Software – sie ist buchstäblich ein System. Das mag zunächst befremdlich klingen, da es ja um Menschen geht. Aber der systemische Ansatz ist mittlerweile fester Bestandteil und gängige Praxis in der Organisationsentwicklung.

Es geht darum, Interaktionen zu gestalten – und dafür zu sorgen, dass die Interaktionen zwischen unterschiedlichen Rollen und Funktionen am Ende als ganzes System das gewünschte Ergebnis erzielt. Genauso in der Softwareentwicklung: Auch hier wird nicht nur auf einzelne Komponenten oder Funktionalitäten geschaut, sondern immer auch, wie und ob das System als Ganzes funktioniert.

Rahmen – Die „Architekturprinzipien“ der neuen Organisation

Den übergeordneten Rahmen geben in der Softwareentwicklung in der Regel die Architekturprinzipien. Analog zu Architekturprinzipen ist es im Kontext der Organisationsentwicklung erfolgskritisch, klare Leitlinien zu definieren – und zwar direkt zum Start. Diese Leitplanken dienen anschließend als Rahmen für die Ausgestaltung des Lösungsdesigns. Wichtig ist hier: Es geht um maximale Klarheit, speziell auch bzgl. des konkreten Gestaltungsspielraums. Sprich: Was ist gesetzt, was steht zur Diskussion. In der Praxis zeigt sich, dass fünf bis zehn klare und mit dem Management abgestimmte Leitplanken häufig schon reichen, um einen robusten Rahmen für die anstehende Veränderung zu schaffen.

Lösungsdesign – Von den Designprinzipien zum Organisationsentwurf

Das Lösungsdesign wird, wie in der Softwareentwicklung, auf Basis von abgestimmten Designprinzipien, also konkreten Anforderungen an die neue Organisation, entwickelt. Dies bedeutet, dass es im Vorfeld einer organisatorischen Neuaufstellung erfolgskritisch ist, klar zu definieren, welche Anforderungen überhaupt an das Redesign gestellt werden - ganz im Sinne des „Requirement Engineering“.

Hierbei werden sowohl funktionale (also fachlich-strategische) als auch nichtfunktionale (bspw. personalwirtschaftliche) Anforderungen berücksichtigt. Diese bilden zugleich die Abnahme- bzw. Akzeptanzkriterien, entlang derer am Ende abgeglichen wird, ob der neue Organisationsentwurf die Schmerzpunkte und Herausforderungen im „Ist“ adressiert.

In der Praxis hat es sich bewährt, zunächst die Herausforderungen aufzunehmen, diese zu gliedern, um diese dann anschließend als Anforderungen zu präzisieren und zu priorisieren. Häufig reichen auch hier zehn bis maximal zwanzig konkrete Anforderungen bzw. „Spezifikationen“ an die neue Organisation. Erfolgskritisch ist es hierbei, möglichst präzise zu sein – genau wie in der Softwareentwicklung. „Gefällt mir nicht“ reicht da bei weitem nicht aus.

Vorgehen – Iterative Entwicklung des neuen Organisationsdesigns

Lösungen werden in der agilen Softwareentwicklung in kurzen Iterationen entwickelt. Nun kann man an einer Organisation nicht ständig Reorganisationen und Umstrukturierungen vornehmen. Was aber sehr wohl funktioniert, ist das iterative Vorgehen beim Organisationdesign zu nutzen – also den ganzen Prozess und speziell die Konzeption der neuen organisatorischen Aufstellung in Iterationen zu gestalten.

Was hier aus unserer Erfahrung besonders gut funktioniert, ist die Verknüpfung von Sprint-Logiken mit festen Deadlines. Heißt konkret: Das neue Organisationsdesign wird bspw. in fünf Sprints entwickelt und muss zum Datum X final vorliegen. Auch wenn das Ergebnis dann möglicherweise nicht perfekt ist – was es in dieser Form bei Reorganisationen sowieso nicht gibt – so schärft dieses Vorgehen den Fokus auf die wesentlichen Aspekte und die kritischen Eckpunkte.

Nutzerperspektive – Die neue Organisation konsequent aus der MA-Perspektive denken

Nutzerzentrierung bildet einen der Eckpfeiler moderner Softwareentwicklung. Im Kontext von Organisationsentwicklung bedeutet dies: Die Veränderung aus der Perspektive der Mitarbeiter:innen zu durchdenken, sowie – wo möglich – Organisationsentwürfe mit den Mitarbeiter:innen durchzusprechen und zu reflektieren.

Für den ersten Aspekt stehen in der Praxis unterschiedliche Instrumente zur Verfügung. Hierbei hilft zum Beispiel: Geschäftsvorfälle bzw. interne Prozesse („Company Journeys“) aus Mitarbeitersicht durchzuspielen. Veränderte Abläufe durch Storyboarding oder auch durch klassische RACI-Matrizen greifbar zu machen. Oder auch Visualisierungen wie „Day in the week“ – was verändert sich für den Mitarbeiter, was bleibt aber auch gleich - einzusetzen. Vor allem gilt es, im Rahmen des Organisationsdesigns immer wieder zu reflektieren, was sich für den einzelnen Mitarbeiter:in durch den neuen organisatorischen Kontext im Alltag verbessert.

Die zweite Dimension von Nutzerzentrierung – das „Verproben“ entwickelter organisatorischer Ansätze mit (ausgewählten) Mitarbeiter:innen – hängt stark vom Reifegrad der Organisation sowie vom Gesamtkontext der Organisationsmaßnahme ab. In der Praxis ist es aber häufig unproblematisch, zumindest mit ausgewählten Mitarbeiter:innen im Rahmen von punktuellen „Reviews“ die erarbeiteten Organisationsentwürfe zu diskutieren und Feedback aufzunehmen.

Team – Vorteile von Partizipation und Selbstorganisation bewusst einsetzen

Die Zeit ist vorbei, in denen organisatorische Veränderungen im „stillen Kämmerlein“ mit dem Top-Management entwickelt wurden. Dies mag in der ein oder anderen Konstellation zwar noch durchaus sinnvoll oder auch notwendig sein. Der Trend zeigt aber klar in eine andere Richtung.

In der modernen Softwareentwicklung ist das avisierte Ziel, selbstorganisierte Teams innerhalb eines klar definierten Rahmens über die Ausgestaltung der Lösung, also das „Wie“, entscheiden zu lassen. Dies lässt sich für die Organisationsentwicklung zwar nicht eins zu eins übertragen – und hier hat auch falsche Romantik leider schon den ein oder anderen Rückschritt bedeutet.

Und dennoch macht es Sinn, einen stärkeren partizipativen, hierarchie- und bereichsübergreifenden Ansatz auch im Kontext von organisatorischen Neuaufstellungen einzusetzen. Dies fördert die Akzeptanz der erarbeiteten Lösung und stellt sicher, dass die relevanten Perspektiven berücksichtigt werden. Aus unserer Erfahrung entstehen dabei häufig überraschende Lösungen und Organisationsentwürfe, die tatsächlich nur so entstehen konnten.

Hierbei ist es aber besonders erfolgskritisch, dass der Gesamtprozess effektiv gesteuert wird. Sonst droht die „Selbstorganisation“ dahin zu führen, dass man sich in endlosen Diskussionen verliert und der Prozess nicht nur ermüdend wird, sondern auch zu scheitern droht.

Verankerung – „Get Well“-Phase nach Go Live der neuen Organisation fest einplanen

Vergleichbar mit der Einführung von neuer Software stellt eine Stabilisierungsphase – die sogenannte „Get Well“-Phase – sicher, dass die neue Organisation nach Go Live erfolgreich verankert wird. Denn eines zeigt die Praxis immer wieder: Die wenigsten neuen organisatorischen Aufstellungen funktionieren vom ersten Tag an komplett reibungslos.

Dies wird in der Praxis häufig vernachlässigt. Nachdem man sich mit viel Energie an die Konzeption gemacht hat, sollte man entsprechend Zeit und Ressourcen einplanen, um den „Betrieb“ der neuen Organisation im Anschluss an den Go Live erfolgreich zu stabilisieren – sei es durch ein detailliertes Transformations-Backlog oder ein dediziertes Team, welches sukzessive Feedback und offene Punkte sammelt und notwendige Nachschärfungen und Detaillierungen vornimmt.


Hieraus ergeben sich in Summe folgende Empfehlungen:

  • Betrachten Sie die Organisation als System, welches es weiterzuentwickeln gilt und welches am Ende als Ganzes das gewünschte Ergebnis liefern soll.
  • Definieren Sie klare „Architekturprinzipien“ bzw. Leitplanken für die neue Organisation - fünf bis zehn klare und mit dem Management abgestimmte Leitplanken reichen häufig schon als robuster Rahmen.
  • Entwickeln Sie Ihren Organisationsentwurf auf Basis klarer Designprinzipien bzw. Anforderungen - häufig reichen auch hier zehn bis maximal zwanzig konkrete Anforderungen bzw. „Spezifikationen“ an die neue Organisation.
  • Gehen Sie iterativ bei der Entwicklung des neuen Organisationsdesigns vor. In der Praxis hat sich eine Sprint-Logik verknüpft mit klaren Zielterminen bewährt.
  • Nehmen Sie immer wieder die „Nutzerperspektive“ ein – also die Perspektive Ihrer Mitarbeiter:innen. Schaffen Sie, wo möglich, ebenso Raum, um Ihre Organisationsentwürfe mit (ausgewählten) Mitarbeiter:innen durchzusprechen und zu reflektieren.
  • Setzen Sie bei der Zusammenstellung des Teams für Ihre Organisationsinitiative bewusst auf die Vorteile von Partizipation und Selbstorganisation – immer aber mit dem klaren Anspruch, dass der Gesamtprozess und die Diskussion effektiv gesteuert werden.
  • Planen Sie ausreichend Zeit und Ressourcen für die „Get Well“-Phase ein, um den Betrieb der neuen Organisation im Anschluss an den Go Live erfolgreich zu stabilisieren.

Dass dieser Ansatz in der Praxis funktioniert, verdeutlichen folgende Ergebnisse aus ausgewählten Organisationsprojekten, die wir in den letzten Monaten durchgeführt haben – zumeist in der IT oder technologienahen Bereichen.