Energie

Einblick in die Erfolgsfaktoren aus der Prozesskonzeption bei Westnetz

§14a EnWG

Westnetz entwickelt gemeinsam mit SMP Strategy Consulting E2E-Prozess zur Steuerung von Flexibilitäten in der Niederspannung

Die Energiewende und die damit einhergehenden Vielzahl an regulatorischen Veränderungen stellen die Energiebranche vor enorme, noch nie dagewesene Herausforderungen. Eine der zentralen Neuerungen, die insbesondere die Verteilnetz- und Messstellenbetreiber (VNB und MSB) betrifft, ist §14a EnWG. Die „netzorientierte Steuerung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen und steuerbaren Netzanschlüssen“ wird die Energiewende weiter beschleunigen. Netzbetreiber dürfen den Anschluss von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen (Wärmepumpen, Wallboxen, Speicher und Anlagen zur Raumkühlung) nicht mehr verweigern, wenn die Netzkapazitäten für einen Anschluss nicht ausreichen. Um den resultierend steigenden Bezugsleistungen Herr zu werden, müssen Netzbetreiber ihre Netzkapazitäten erweitern. Allein der Ausbau der Netze genügt jedoch nicht, um den steigenden Installationszahlen ohne Gefährdung der Versorgungssicherheit zu genügen. Es bedarf somit der Möglichkeit für den VNB, steuernd in sein Netz eingreifen zu können. Das bedeutet, er muss die Bezugsleistung solcher Verbrauchseinrichtungen reduzieren können, die seine Netzkapazitäten belasten.

Aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz und unternehmerischen Wichtigkeit dieses Themas, hat die Westnetz sich bereits ausgiebig mit steuerbaren Verbrauchseinrichtungen beschäftigt. „Neben unserem Anspruch die Vorgaben des Gesetzgebers zu erfüllen, sehen wir uns als Vorreiter in der Energiewende. Somit tragen wir als VNB unseren Teil zu einem klimaneutralen Deutschland bei. Wir haben uns daher im letzten Jahr entschieden, ein Projekt aufzusetzen, um die Anforderungen des § 14a EnWG an uns als Westnetz zu strukturieren und in einen neuen E2E-Prozess zu überführen“, sagt Jan Poppe, Leiter für Digitalisierung, Innovation und Technologie bei Westnetz.

In dem Projekt wurden zentrale Ergebnisse zur Umsetzung des §14a erarbeitet: Wir haben erstens einen ersten E2E-Prozess von der Integration bis zur Steuerung von Verbrauchseinrichtungen entwickelt. Zweitens haben wir die Anforderungen des §14a identifiziert und nach Dringlichkeit (Umsetzungsdatum) priorisiert. Drittens haben wir die priorisierten Anforderungen aus dem Projekt in die Linieneinheiten kommuniziert und deren Umsetzung sichergestellt. So soll eine pünktliche und sachgerechte Umsetzung der Anforderungen ermöglicht werden.

In diesem Artikel werden wir unsere Projekterfahrungen zur Konzeption des E2E-Prozesses und zur Umsetzungsvorbereitung teilen. Konkret möchten wir jeweils drei ausgewählte Erfolgsfaktoren entlang der drei wesentlichen Projektphasen mit Ihnen teilen: vor Projektbeginn, während des Projekts, und nach Abschluss des Projekts.

Phase 1: Was muss in der Vorbereitung des eigentlichen Projektes sichergestellt sein?

Schaffung von Transparenz: Kaum ein Marktteilnehmer wird sich noch nicht mit den Themen Management von Flexibilitäten, Netzdigitalisierung, iMSys Rollout, Steuerboxen, etc. beschäftig haben. Ganz im Gegenteil. Häufig gibt es bereits an vielen Orten im Unternehmen zahlreiche Vorüberlegungen und Parallelprojekte. Zusätzlich befinden sich viele Unternehmen in großen IT-Transformationen, die bei der Formulierung von Anforderungen ebenfalls berücksichtig werden sollten. Kurzum: Es lohnt sich vor Projektstart Transparenz zu schaffen. So auch bei Westnetz und E.ON. Ein kleines Team sollte möglichst umfangreich Vorprojekte, Vorstudien und alle weiteren bestehenden Inhalte aufnehmen und für das Projektteam aufbereiten. Zusätzlich sollten in diesem Schritt alle weiteren Gremien und Projekte identifiziert werden, mit denen sich das Team eng verzahnen sollte. Der zusätzliche Austausch stellt sicher, dass das Projekt-Team anschlussfähige Ergebnisse erarbeitet.

Sicherstellung crossfunktionales Team Setup: Ein weiterer zentraler Erfolgsfaktor ist die Zusammenstellung des richtigen Teams. Die Anforderungen des § 14a erstrecken sich über weite Teile der VNB- und MSB-Organisation. Insofern ist der rechtzeitige Einbezug aller relevanten Experten und Fachbereiche nicht nur eine Frage der Akzeptanz in der Implementierung sondern eine notwendige Voraussetzung für die fachliche Funktionsfähigkeit des Prozesses. Unser § 14a Projekt wurde geleitet vom Bereich Innovation, Digitalisierung und Technologie. Im Kernteam vertreten waren die Bereiche Metering, Regionaltechnik- und Produktmanagement, kommerzielle Netzbewirtschaftung, Netzvertrieb, Systemführung, Assetmanagement, Recht / Regulierung / Unbundling, Prozesse und IT beteiligt. Das Setup scheint zunächst umfangreich gewählt, hat sich jedoch aufgrund der erforderlichen fachlichen Tiefe zu bspw. technischen Rahmenbedingungen und heutigen prozessualen Abläufen vollends bewährt gemacht.

Zusammenarbeit im Campus Modus: Auch der Zusammenarbeitsmodus spielte in diesem Projekt eine außergewöhnlich wichtige Rolle. Um in kurzer Zeit möglichst nutzbare Ergebnisse zu erzielen, haben wir ein agiles, sprint-orientiertes Vorgehen genutzt. In zweiwöchigen Zyklen haben wir als Team Sprint-Ziele in Form von konkreten Ergebnistypen definiert. Diese haben wir erarbeitet und am Ende eines Sprints den zentralen Projekt-Stakeholdern vorgestellt.

Besonders war hierbei unser Arbeitsmodus: Im „Campus-Modus“ haben wir an zwei Tagen ganztägig vor Ort zusammengearbeitet. Dies ist mittlerweile ungewohnt, hat sich aber als erfolgsentscheidend erwiesen. Von Vorteil war dabei der feste Projektraum in einem separaten Gebäude abseits des Tagesgeschäfts. Insbesondere für die konzeptionelle Arbeit an der Erstellung des E2E-Prozesses ist die Arbeit in Präsenz an einem physischen Board von großem Vorteil. Zahlreiche Iterationen an Prozessabläufen lassen sich mit Zettel, Stift und Papier deutlich schneller und freier konzipieren als in der virtuellen Zusammenarbeit.

Phase 2: Wie erzielen wir während des Projektes ein bestmögliches Ergebnis?

Fokus auf wertstiftende Ergebnisse: Die Anforderungen des § 14a sind zahlreich, komplex und teilweise kurzfristig. Es gilt, als Projekt die Übersicht zu behalten und sich auf die wesentlichen Aspekte zu konzentrieren. Um die Komplexität zu beherrschen, haben wir uns auf den „Happy Path-Prozess“ konzentriert. Das bedeutet, dass wir uns bei der Entwicklung des E2E-Prozesses und den daraus resultierenden Anforderungen zunächst auf den massentauglichen, am leichtesten anzunehmenden Use Case beschränken. Alle alternativen Use Cases, die zukünftig ebenfalls Relevanz haben werden (bei Westnetz bspw. Netzgebiete mit Rückbeauftragung) werden gesammelt, zunächst zurückgestellt und dann nach Konzeption des Happy Path sukzessive berücksicht. Dieses Vorgehen mag zunächst ungewohnt für einige Team-Mitglieder sein. Wir empfehlen, offen im Projekt darüber zu sprechen und den „Happy Path“ als Mantra zu etablieren. So haben wir es geschafft, schnellstmöglich relevante Ergebnisse zu erzielen – und uns auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Erarbeitung leicht nachvollziehbarer Ergebnistypen: Ein weiterer Aspekt, der der Komplexitätsreduzierung dient, sind visuelle, möglichst einfach verständliche Ergebnistypen. Die Entwicklung eines E2E-Prozesses inkl. organisatorischer, prozessualer und systemischer Anforderungen sind ein komplexes Unterfangen, das unter normalen Umständen mehrere Monate dauert. Heruntergebrochen auf wenige Wochen, braucht es klar definierte und einfache Ergebnistypen. In diesem Kontext bieten sich einfache Schaubilder, wie Heat-Maps für Reifegrade, Checklisten für das Tracking und Templates für Anforderungen an. Überlegen Sie, welche Informationen es wirklich braucht, um den Happy Path umzusetzen.

„Ruthless Tracking“: Trotz aller Maßnahmen der Komplexitätsreduzierung, werden Sie schnell feststellen, dass sich eine beachtliche Summe Anforderungen ansammelt. Diese müssen detailliert und an die richtige Stelle in der Organisation adressiert werden. Zumindest die kurzfristig relevanten Anforderungen sollten schnellstmöglich in die Organisation getragen und stoisch nachverfolgt werden. Wir können Ihnen hier drei einfache Tipps an die Hand geben: (1) Pflegen Sie eine übergreifende Liste, mit allen Anforderungen und Informationen. Das gesamte Projektteam sollte schreibenden Zugriff haben. (2) Ordnen Sie klare Ownerships zu jeder Anforderung zu. Ohne die Verantwortung den richtigen Ansprechpartner zu suchen und die Anforderung an diese zu adressieren, werden Sie keine schnellen Erfolge erzielen. (3) Machen Sie das Fortschrittstracking zum Ritual. Wir sind in jeder Session mit dem gesamten Team die Liste der kritischen Anforderungen durchgegangen. Dort haben wir Updates besprochen, diese in der Liste vermerkt und nächste Schritte festgehalten. Dieses Vorgehen schafft gleichermaßen Verbindlichkeit sowie Transparenz für das Team und die Projektleiter.

Phase 3: Wie nutzen wir die Projektergebnisse aus der Konzeption für die weitere Umsetzung?

Saubere Umsetzungsvorbereitung: Mit der Finalisierung des E2E-Prozesses, Aufnahme aller und Anstoßen der Umsetzung priorisierter Anforderungen hat das Projekt seinen Kernauftrag erfüllt. Damit ist der erste Schritt bei der Implementierung von § 14a erfolgt. Bis zur vollständigen Etablierung braucht es aber weiterhin eine enge Begleitung und weitere Ausarbeitung. Im Wesentlichen sehen wir drei zentrale Aufgaben für die nachfolgende Projektphase: (1) Kommunikation der Anforderungen an zuständige Linieneinheiten und -projekte sowie Fortschrittstracking der kommunizierten Anforderungen, um einen Überblick über den Gesamtfortschritt der § 14a-Umsetzung zu haben. (2) Das Vorantreiben der organisatorischen und prozessualen Implementierung im Unternehmen, bspw. Ansprache verantwortlicher Linieneinheiten etc. Schließlich (3) der Austausch mit dem Konzern und anderen DSOs innerhalb des E.ON-Konzerns. Die dritte Aufgabe ist in dieser Ausprägung ein Sonderfall der Westnetz bzw. von Konzern-Tochtergesellschaften. Dennoch sollten auch alleinstehende VNBs einen kontinuierlichen Austausch zu Marktbegleitern und Branchenverbänden pflegen.

Test and Learn-Ansatz: Die Ergebnisse dieser ersten Phase sind nicht in Stein gemeißelt. Rahmenbedingungen verändern sich weiter. Erst Ende November haben die BK6 und BK8 der BNetzA die finale Regulierung zum § 14a EnWG veröffentlicht. Bis Oktober 2024 haben die VNBs Zeit, der BNetzA Informationen und Konzepte vorzulegen, wie die Umsetzung der Verordnung aus Ihrer Sicht anzugehen ist. Zahlreiche Energieversorger und Netzbetreiber unterhalten Reallabore, um die Mess- und Steuerungstechnik unter realen Bedingungen zu verproben. All diese und noch viele weitere Änderungen und Erkenntnisse werden die Umsetzung des § 14a bei VNBs weiter konkretisieren und weitere Anpassungen erfordern. Diesen Modus muss ein fortlaufendes Projekt zur Implementierung des Prozesses berücksichtigen.

Vorbereitung strategischer Entscheidungen: Schließlich ergeben sich entlang des Umsetzungsfahrplans einige strategische Entscheidungen, die VNBs treffen sollten. Wir sehen hier mittelfristig vier Themen, die Netzbetreiber angehen sollten:

  • Kurzfristig: Mit Blick auf eine zeitnahe Umsetzung der Anforderungen, stellt sich in der Organisation ebenfalls die Frage nach der Verantwortung für die neu zu erledigenden Aufgaben. Hier sollte zeitnah eine Entscheidung getroffen werden, sodass entsprechende personelle und technische Ressourcen angeschafft und geschult werden können. Auch stellt sich die grundsätzliche Frage nach einer zentralen oder dezentralen Überwachung und Verantwortung für das Niederspannungsnetz.
  • Kurzfristig: Die BNetzA sieht für Verteilnetzbetreiber das Steuern als „ultima ratio“. Das endgültige Ziel ist der auskömmliche Netzausbau. Vor diesem Hintergrund ist eine grundsätzliche Abwägung zu treffen: Möchte ich als Netzbetreiber großflächig (a) Steuerungstechnik verbauen und (b) steuernd in mein Netz eingreifen. Alternativ kann auch der Ausbau flexibel und beschleunigt stattfinden. Diese grundsätzliche Abwägung ist vielschichtig und sollte gründlich getroffen werden.
  • Mittelfristig: Die Anmeldezahlen und Informationen zu erfolgten Steuereingriffen können dafür genutzt werden, den Rollout von digitalen Ortsnetzstationen und intelligenten Messsystemen effizienter zu gestalten. Auch hier bedarf es einer Managemententscheidung, ob der ursprüngliche Plan anhand neuer Informationen adaptiert werden soll.
  • Schließlich ergeben sich neben allen Pflichten und Auflagen auch mögliche Chancen für VNB. Die Digitalisierung der Niederspannung und daraus gewonnene Informationen über das Netz können intelligent genutzt werden. Entlang der gesamten Wertschöpfung des Netzbetreibers ergeben sich Chancen, wie ein gut gepflegter Datenschatz den VNB erfolgreicher oder effizienter machen kann.

Fazit

Zusammengefasst lässt sich festhalten: Es bedarf im Kontext § 14a eines neuen E2E-Prozesses, der konzipiert und implementiert werden muss. Entlang von drei zentralen Phasen haben wir jeweils drei Erfolgsfaktoren vorgestellt, um diesen Prozess auszuprägen. Vor Projektbeginn sollte das Team Transparenz über das Projektsetting schaffen, ein crossfunktionales Team benennen und einen Zusammenarbeitsmodus mit hohem Präsenzanteil (Campus) vereinbaren. In der Ausgestaltung des E2E-Prozesses haben sich der Fokus auf den Happy Path, klare und verständliche Ergebnistypen sowie das „ruthless“ Tracking aller dringlich umzusetzender Anforderungen als erfolgsentscheidend erwiesen. Schließlich sollte die folgende weiterführende Umsetzungsphase sauber vorbereitet werden; hierzugehören gehört ebenfalls eine gesunde „Test and Learn“-Mentalität sowie die Auseinandersetzung mit einer Reihe anstehender strategischer Entscheidungen.

Der § 14a EnWG ist ein relevanter, enorm wichtiger Schritt im Rahmen der Energiewende – und stellt die Netzbetreiber dennoch vor eine Vielzahl prozessualer und operativer Herausforderungen. Wir hoffen, dass wir mit diesem Artikel und den hier vorgestellten Erfolgsfaktoren einen kleinen Beitrag dazu leisten konnten, dass Dritte diese Herausforderungen bestmöglich angehen und meistern werden.